Willkommen im Post-Cyberpunk

Die ungehörten Stimmen – (Fire-)Vox Populi!?

Vor einiger Zeit wurde, auch dank Netzinitiativen, vorerst erfolgreich ein EU-weites Gesetz zur Privatisierung der Wasserversorung gestoppt. Hier war jedem sehr schnell klar zu machen worum es geht und welche Gefahren drohten. Doch ob man auf dieselbe Weise Gesetze zur Netzneutralität durchdrücken kann? Digitale Privatsphäre, verschlüsselte Kommunikationswege?
Nein. Denn dem Großteil der Bevölkerung sagt der Begriff Netzneutralität überhaupt nichts. Im Gegenteil, es wird damit irgendein Getue dieser komischen Internethippies assoziiert. Leute die sich in Hackerspaces treffen, von Liquid Feedback reden und sowieso fast nur noch mit englischen Fachbegriffen um sich werfen. Die Piraten sind nicht verständlicher als die anderen Parteien, sie reden nur mehr englisch, oder eher…. meme-isch.
Ich möchte hier nicht gegen die Piraten Stimmung machen. Ich beobachte ihr Tun mit Interesse und bin froh dass es diese Bewegung gibt. Nur gerade jetzt offenbart sich, dass einige ihrer Angewohnheiten, die eben typisch für Netzgemeinden sind, eine fatale Nebenwirkung haben. Wir, die netzaffinen Bürger, haben es in den letzten 10 Jahren nicht geschafft, unsere Anliegen vernünftig und verständlich an die breite Masse zu vermitteln. Wenn etwas im Argen war, dann betraf es meist nur die kleine Welt der Internetspinner. Erst in den letzten Jahren fängt die Politik langsam an zu reagieren und entblößt sich dabei als zahnloser Tiger. Bestenfalls gab es Protestbriefchen von unseren Verbraucherschutzministern, die inzwischen sicher goldgerahmt bei Google und Facebook in den Chefetagen für regelmäßiges Gelächter sorgen. Die verkappten Preußen mal wieder…
Von dem Desaster bezüglich Google-Streetview, von dem vermutlich bis heute die meisten glauben, Google würde live in Echtzeit ihre Häuser filmen, wollen wir besser gar nicht erst anfangen.

Zur Netzneutralität

Hierbei geht es um die Gleichbehandlung von Daten aller Art im Internet und der für sie verfügbaren Bandbreite. Praktisch heißt das, ein Video auf Youtube sollte genau so schnell den Zuschauer erreichen können, wie ein Video auf Vimeo. Kein Serviceanbieter im Netz soll durch Zusatzzahlungen eine bessere Bandbreite erhalten als die Konkurrenz.
Die Telekom bietet ab 2016 neue DSL-Verträge an, deren Geschwindigkeit ab einem Verbrauch von 75GB gedrosselt wird. Ausgenommen von dieser Drosselung sind Telekom-eigene Onlinedienste, womit de facto die Netzneutralität aufgehoben wird. Hier noch eine andere Aktion der Telekom, die diesbezüglich interessant ist. Auf Dauer unterbindet der Verlust von Netzneutralität unter anderem die neutrale Berichterstattung kleiner und unabhängiger Quellen. Auch Entwicklungen wie der arabische Frühling, die u.A. mit den Möglichkeiten von Facebook und Twitter koordiniert wurden, ließen sich so verhindern.

Als Merkel vom Internet als Neuland sprach, passierten zwei Dinge, eigentlich drei. Zuerst die Reaktionen auf zwei Seiten.

Die eine amüsierte sich köstlich über die Naivität unserer ach so altbackenen Kanzlerin und machte sich flugs daran lustige Sprüchlein oder Fotomontagen durchs Netz zu jagen.

Die andere Seite saß mit nickendem Kopf vor dem Fernseher. Man fühlte sich verstanden. Denn für diese Leute IST das Internet Neuland. Dieses Ding, was da seit etwas mehr als 10 Jahren (ich rechne hier mal ab DSL-Zeitalter, klar, davor auch, aber ab 2000 ging der große Boom los) aus der Telefondose kommt und vor dem die Jugend immer mehr Zeit verbringt. Als wenn schon Computer und Videospiele auch ohne Internet nicht schlimm genug gewesen wären. Wer ließt von den Jugendlichen heute noch eine richtige Tages- oder wenigstens Wochenzeitung?

Und nun ratet mal bitte, welche Gruppe größer ist und damit wahltechnisch relevanter? Ich geb ’n Tipp… Es ist die, für die ein Jahrzehnt DSL weit weniger als die Hälfte der Lebenszeit sind.

Als Drittes folgte dann die Reaktion: Wenn die zweite Gruppe, die der Älteren, dann hier und da die Häme und den Spott der ersten Gruppe über Merkels Naivität mitbekamen, fühlen sie sich umso mehr von Merkel verstanden. Diese komischen jungen Hipsters sind ja immer gleich so unhöflich. Nein, das Internet ist kein schöner Ort.

Die letzten Sätze sind ohne Ironie oder Sarkasmus geschrieben. Denn so falsch Merkel mit ihrer Aussage auch liegt, so sehr traf sie den Nerv eines Großteils der Bevölkerung. Und die, die sich veräppelt vorkamen, spielten Merkel mit ihrer Häme noch in die Hände. Das Internet zeigte sich von seiner hässlichen Seite, als es ganz normal reagierte. Neuland ist Ghetto, könnte man auch sagen. Und dazu muss man nicht mal die Foren von SPIEGEL ONLINE oder ähnliche Trollversammlungsorte aufsuchen.

Fakt ist: Nach über 10 Jahren DSL gibt es noch immer viel zu viel Fremdeln mit einer Technologie, die für immer mehr Leute fester Bestandteil des Lebens wird, deren Leben ohne Internet teilweise gar nicht mehr organisierbar wäre, die echte finanzielle Verluste erleiden, wenn der DSL-Anschluss mal ausfällt.
Und welcher der von der Netzgemeinde gebastelten Sprüche oder Bildmontagen wird auf Dauer Bestand haben? Wird wirklich ein neues kulturelles Statment für die Jahre entstehen? Die Chancen, dass #Neuland zu dem wird, was für Helmut Kohl einst die Birne war, sind doch eher gering. Aber der Schaden ist angerichtet. Dabei gäbe es so viel Besseres, was man hätte tun können.

Jeder kann am Ende nur sich selbst trauen, sollte also nicht jeder dann auch selbst handeln?

Wir, die Netzgemeinde haben es doch in der Hand zu beeinflussen, was man von uns denkt. Nicht nur die erste, sogar die zweite oder stellenweise schon dritte Generation der Leute, die mit dem Internet aufgewachsen sind, ist inzwischen berufstätig. Ihr verdient Geld, ihr habt eine Familie, sorgt euch um eure Zukunft, ihr solltet doch besser als die Schulhoftrolle die Ängste der Älteren verstehen, die im Internet wirklich nur Neuland sehen können! Viele werden später einen Teil ihres Verdienstes und womöglich sogar ihrer freien Zeit aufwenden, um sich um ihre Eltern oder Onkels und Tanten zu kümmern, damit sie im Alter möglichst gesund und ohne Sorge leben können. Man kümmert sich um sie, auch wenn der Generationenvertrag inzwischen gewaltige Löcher hat. Wer Kinder oder gar Enkel hat, wird im Alter auf diese hoffen und vertrauen.

Warum also, gehen wir, die Netzbürger, die die sich über das Bestreben der Telekom, die Netzneutralität auszuhebeln (siehe Randbox oben) aufregen, die um die Datengier von Google und Facebook wissen, deren Dienste aber dennoch bewußt nutzen, warum gehen wir nicht auf die Älteren zu und reichen ihnen die Hände?

Das Internet gehört inzwischen zur Grundversorgung. Günstige Verträge kriegt man für unter 30€ im Monat. Internetfähige Geräte sind günstiger denn je zu kriegen. Netbooks bzw. Einsteigernotebooks oder gar Tablets gibt’s ab 300€. Für das Surfen und schreiben von E-Mails reichen sie absolut aus. Dank Touchgeräten ist der Zugang inzwischen nachweislich einfacher. Mehrfach hat sich in Versuchen gezeigt, dass gerade Tablets oder große Smartphones mit ihrer intuitiven Bedienung, komfortabler sind als die Kombination Bildschirm+Maus+Tastatur, auch wenn Langtexte auf einer Tastatur bequemer zu schreiben sind.

Ob man nun lieber Android, iOs, Windows Phone 8, Windows, Linux oder MacOS nutzt ist jedem selbst überlassen. Wichtig sind nur zwei Dinge: Geduld und Erklärungswillen!

Wir hatten so viel Spaß und Frust in den letzten Jahren, in denen wir neue Dienste, neue Betriebssystem, neue Computerformen und viel mehr entdeckten. Es war toll! Wir sind selbst kaum hinterhergekommen, die Trends kamen schneller als man gucken konnte. Erst wurden die Handys immer kleiner, dann hatten sie keine Knöpfe mehr und heute werden sie immer größer. Netbooks gibt es schon fast gar nicht mehr zu kaufen. Auf einmal gilt überall Touch und ganz ehrlich: So viel Spaß es macht, mit dem meisten von den Neuerungen wissen wir erstmal nicht so richtig etwas anzufangen. Man siehe sich nur die nie fehlerfrei funktionierende Nutzung von Touch-Screens in Nachrichtensendungen an. Ich liebe es neue technische Spielzeuge auszuprobieren, an ihnen rumzubasteln und sie gänzlich auf meine Bedürfnisse anzupassen. Aber für den Alltag bevorzuge ich Geräte die sofort und ohne Hindernis funktionieren.

Nur ein geringer Prozentsatz nutzt alle Möglichkeiten effektiv. Ich zum Beispiel nicht. Meine Evernote-Notizensammlung ist ein heilloses Chaos, mein Tablet verkommt mehr und mehr zum Radio- und Nachrichtenbedudler. Nur PC, Notebook und Smartphone nutze ich weiterhin und zwar extensiv und produktiv.
Aber es gibt andere, die einiges von dem Nutzen könnten, was mir nicht liegt. Gehen wir zu unseren Eltern, weisen ältere Familienfreunde, die um Rat fragen nicht ab. Zeigen wir ihnen das Internet. Zeigen ihnen, wo sie die Themen finden, die sie interessieren.

Auf der nächsten Seite: Warum das Internet für alle ist und was wir versäumt haben.


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