Willkommen im Post-Cyberpunk

Ghost in the Shell S.A.C. 2nd GIGSchon länger hatte ich vor, mir mal wieder die Anime-Serie Ghost in the Shell – Stand alone Complex anzusehen. Ich war unsicher, ob die Serie genau so gut altern konnte wie Mamoru Oshiis Film. Immerhin ist sie mit massiver Computertechnik umgesetzt, die bekanntermaßen alles andere als gut altert. Und während ich dies gerade schreibe, kursiert durch das Netz die Meldung, dass Edward Snowden Asyl in Russland beantragt hat. Damit wären wir auch beim Thema.

Moment, was hat eine Science-Fiction-Anime-Serie mit dem aktuellen Skandal über die Abhörmethoden der NSA und anderer Geheimdienste zu tun? Auf den ersten Blick wenig, doch ich möchte hier auch nicht über die Details sprechen, die schon in anderen Blogs und Artikeln ausgetreten werden. Es geht mir um die Welt, in der wir leben, und einige Gedanken dazu, wie wir unser reales 1984/Neuromancer/SnowCrash gestalten sollten. Denn diese Dystopien, die zweifarbigen Welten des Cyberpunk, das ist heute, und zwar schon seit Jahren!

Snowden – wieder ein Skandälchen

Zur aktuellen Debatte daher nur kurz eine Übersicht, bevor ich zum eigentlichen Thema komme. Diverse Geheimdienste, scheinbar vor allem die amerikanischen und britischen, horchen sowohl ihre Mitbürger als auch die Politiker, Firmen und Privatleute ihrer Bündnispartner aus, indem sie diese unter Generalverdacht stellen. Deutschland gilt dabei den Amerikanern, anders als das restliche Europa, laut Snowden, auch als Angriffsziel. Das ist skandalös und nun ist es der Job der Politiker Konsequenzen zu ziehen. Wirklich wundern darf man sich aber nicht, immerhin sind wir eine starke Wirtschaftsnation und haben einen massiven Einfluss auf die europäische Politik. Damit ist klar, dass hinter den Kulissen viel dreckige Wäsche gewaschen wird.

Edward Snowden (Credit: AP)Dass unsere Kanzlerin laut ZEIT-Interview (Ausgabe vom 11. Juli) die Medienberichte nun erst mal bestätigt haben will, und das ganze Thema als gar nicht so kritisch sieht, ist ein weiterer Skandal, dessen Aufarbeitung ebenfalls nun Aufgabe der Politiker, aber auch der Journalisten und vor allem der Bürger ist. Aber noch hat sich kein Politiker hervorgetan, der Mut hat Farbe zu bekennen. Denn auch ein Herr Steinmeier sollte nun Größe zeigen und endlich einiges offenlegen. Als früherer Kanzleramtschef unter Goldkettchen-Gerd sollten ihm zumindest einige der Vorgänge bekannt gewesen sein.
Wenn er dem Wahlkampf seiner Partei etwas gutes tun will, kann er nun ein Wagnis eingehen und sein Wissen offenlegen um eine große Debatte anzustoßen, die wirklich an den Grundfesten des internationalen Umgangs rütteln könnte. Basta-Gerd hatte etwas Ähnliches 2002 getan, als er sich dem Irak-Krieg verweigerte. Damals wie heute war ein Aufbegehren gegen die Freunde aus Übersee quasi undenkbar. Die Franzosen bekamen eine Weile ein Importverbot der USA für Croissants… und das wars. Das Verhältnis hat sich wieder gebessert, nachdem auch dem Rest der Welt klar wurde, dass die Kriegsgründe allesamt erfunden waren. Asyl in Deutschland für Snowden ist politisch zwar Traumtänzerei, juristisch aber wohl doch nicht so unmöglich wie man erst behauptet hat. Es drängt sich die Frage auf, ob Goldkettchen-Gerd auch heute den USA die Stirn geboten hätte. Man kann darüber streiten, wie viel seiner Irak-Verweigerung damals Wahlkampfkalkül war, doch es war moralisch und in der politischen Verantwortung die richtige Entscheidung; etwas, das Merkel und Schäuble im übrigen bis heute kritisieren. Mehr zu Merkels Amerika-Bild kann man bei Volker Pispers erfahren. Zwar ist es Kabarett, aber gerade unter den heutigen Umständen mehr zum Weinen denn zum Lachen.
Wie gesagt, über all dies kann man in diesen Tagen in diversen Quellen nachlesen. Gerade der SPIEGEL (Ausgaben 27 und 28 vom 1.7. und 8.7.) wird dadurch gerade wieder relevanter, da er einige Aussagen Snowdens 1:1 widergibt und brauchbare Rahmeninformationen liefert.

Doch gleichzeitig zieht sich auch eine gewisse Resignation schon jetzt durch das Netz. Denn seien wir ehrlich, dass unsere Daten abgefischt werden, ist den meisten schon lange klar. Wie oft zieren Google, Amazon, Apple oder Facebook in reißerischer Manier die Titelbilder (auch vom SPIEGEL… die Zeiten des linken Sturmgeschützes sind wirklich lange her), nur um noch mehr Angst und Paranoia zu schüren, wo stattdessen pragmatische Sachlichkeit und ein wenig Nüchternheit angeraten wäre.
Und man ahnt es schon, genau wie bei den Wikileaks-Enthüllungen, dem Tumult um die Arbeitsbedingungen bei Amazon, oder den nicht erledigten Ausbesserungen des Deichschutzes nach der letzten Flut… all diese Themen kochen kurz auf und verschwinden schneller als man gucken kann wieder im Alltag zwischen Bausparvertrag, Hartz IV und dem Gebrauchtwagenhändler um die Ecke. Selbst die so engagiert auftretenden Piraten schaffen es nicht, eine Steilvorlage wie die aktuelle Debatte zu verwandeln. Stattdessen bleibt es bei kleingeistigem Chaos und man könnte fast glauben, dieser Zustand würde ihnen gefallen.

Es bleibt also am Ende an jedem Einzelnen hängen, und das ist gar nicht mal das Schlechteste. Denn anders als man uns gerne weismachen will, können wir etwas verändern, wir müssen sogar etwas verändern. Denn aktuell leben wir in schlimmeren Zuständen, als es sich die meisten Autoren dystopischer Cyberspaceromane vorgestellt haben.

Wenn Dystopien zu Utopien werden

Wie sieht die Welt eines Cyberpunk-Romans in der Regel aus? Die Staaten der Welt existieren noch, aber im Grunde regieren die großen Firmen im Hintergrund und bestimmen die Weltordnung. Die Schere zwischen Arm und Reich ist am vorstellbaren Anschlag und irgendwo im Untergrund kämpfen verwegene Konsolenhelden im digitalen Netz gegen die Konzerne, führen ihren Cyberkampf, lassen die neuesten Viren- und Invasionsprogramme gegen die bösen Industriekonzerne laufen.

Der wichtigste Punkt, der oft als selbstverständlich in solchen Geschichten angenommen wird, ist aber: Jeder kennt und nutzt das Internet. Egal welches Alter, welche Einkommensklasse und welche Bildung jemand hat, jeder hat irgendwie Zugang zum Netz, sei es für Informationen, zur Machtausübung oder um diversen Süchten nachzugehen.

Browserkrieg I (95-98) und II (04-XX)

Als Browserkrieg wird ein von 1995 bis 1998 andauernder Verdrängungswettbewerb zwischen den Unternehmen Microsoft und Netscape um die Vorherrschaft ihrer Webseiten-Betrachtungsprogramme – sogenannter Webbrowser – im Internet bezeichnet, in welchem sich Microsoft am Ende mit seinem Produkt Internet Explorer gegen das Konkurrenzprodukt Netscape Navigator durchsetzen konnte. Die Entwicklung in den Jahren ab 2004, in denen Mozilla Firefox und andere alternative Browser dem Internet Explorer wieder Marktanteile abnehmen konnten, wird zuweilen als „zweiter Browserkrieg“ bezeichnet. “ – Wikipedia
Relevant an diesem Browserkrieg ist, dass damals Microsoft ein Quasi-Monopol entwickelte und über die Darstellung und Regeln für Webseiten beliebig bestimmen konnte. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich heute, mit der wachsenden Dominanz von Googles Chrome-Browser und der steigenden Verbreitung der Webkit-Engine in mehreren Browsern (Safari, Chrome, Opera, quasi alle Mobilbrowser).

Kleiner Bonus:
Die eingangs erwähnte Anime-Serie startet in ihre Haupthandlung mit der Aufdeckung eines Überwachungsskandals in der Regierung, was kurzerhand zu einem Rücktritt und einer langen und ergebnisbehafteten Diskussion führt. Nur zum Festhalten: Inzwischen sind die Handlungen dystopischer Geschichten optimistischer als die Realität. Denn in der Serie ging es nur um einen landesweiten Überwachungsskandal der Polizei, nicht der Geheimdienste. Und wir haben jetzt einen weltweiten Skandal, der scheinbar keinen einzigen Politiker in ernste Bedrängnis bringt, geschweige denn etwas ändern wird.
Nur für die Skeptiker: Die genannte Serie und ihre Mangavorlagen hatten gerade in der Darstellung politischer Intrigen und Skandale einen eher bodenständigen Touch, anders als zum Beispiel Tom Clancys Gute-Weltpolizei-Romane und die zugehörigen Videospiele.
Diesen netzgesellschaftlich paradiesischen Zustand der fiktiven Literatur haben wir nicht erreicht. Im Gegenteil, gerade wir netzaffinen Bürger arbeiten aus unnötigem Stolz und Naivität heraus aktiv daran, den Graben zwischen Nutzern und Nichtnutzern zu vertiefen. Wir wollen uns vom Bisherigen, vom Konservatismus, abgrenzen, unter uns sein, uns ausleben können. Dass die meisten unserer Netzwerkzeuge englische Namen oder Kunstwörter besitzen, hilft uns die anderen, die Altmodischen, außen vor zu halten. Stopschild im Internet? Selten so gut gelacht, Zensursula. Wir verstehen den Witz, aber viele andere nicht.

Und damit graben wir nicht nur uns selbst auf Dauer das Wasser ab, sondern wir geben der Politik auch Vorschub, wenn immer mehr Reglementierungswerkzeuge in Firmenhand wandern. Wir brauchen Politiker die das Internet so verstehen wie wir es nutzen. Und entweder lernen sie es, weil immer mehr ihrer Wähler das fordern (weil sie selbst es verstehen), oder diese Generation an Politikern muss erst noch in Regierungsfähigkeit bzw. Politikfähigkeit hineinwachsen. Wollen wir wirklich so lange warten?

Wie war das denn, als zu Zeiten des ersten Browserkriegs Microsoft nach eigenem Gutdünken die Webseitensprache HTML definierte und das dafür zuständige W3C-Konsortium geflissentlich ignorierte? Wie war das, als Eric Schmidt, einst CEO von Google, behauptete, Privatspähre sei von gestern?

 Auf der nächsten Seite: Warum die Netzaktivisten aus ihren Ecken kommen müssen und Aufklärung uns alle angeht.


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