Klassiker: Ghost in the Shell

Mal bitte alle melden, die mit Masanori Ota nix anfangen können. Okay, und jetzt mal die, die noch nie von Masamune Shirow gehört haben? Schon weniger, gut. Ghost in the Shell ist in irgendeiner Form sicher schon einigen bekannt, sei es als Film, Serie, Videospiel oder Musikvideo von Wamdue Project. Aber wer kennt noch den Original Manga, mit dem alles angefangen hat?

Masanori Ota, besser bekannt als Masamune Shirow, hat mit dieser Serie Anfang der 90er wohl endgültig seinen Thron im Pantheon der Mangakünstler gerechtfertigt. Zuvor hatte er sich bereits mit Orion, DominionTank Police und Appleseed einen weit über Japan hinausreichenden Bekanntheitsgrad erarbeitet.

Neben Wiliam Gibsons Neuromancer-Trilogie und Philip K. Dicks Träumen Roboter von elektrischen Schafen (besser bekannt durch Ridley Scotts Film Blade Runner) hat vor allem Ghost in the Shell den Begriff des Cyberpunks und den Traum von Cyborgs am stärksten beeinflusst. Angemerkt sei nur, dass die Wachowski-Brüder, die Schöpfer der Matrix-Trilogie, sich ausdrücklich als Ghost in the Shell-Fans bezeichnen und sie dies gerade im ersten Film auch oft erkennen ließen .Alle Bücher und Filme aufzuzählen, die irgendwie von einem oder mehreren dieser Werke beeinflusst wurden, würde mir erstmal genug Arbeit für die nächsten Jahre geben. Daher, und weil ich sie selber noch gar nicht alle kenne, will ich mich nur mit Ghost in the Shell befassen, dem Manga wohlgemerkt.
Immerhin gibt es inzwischen zwei sehr erfolgreiche Kinofilme, zwei nicht minder erfolgreiche Animeserien und einen separaten Film zu den Serien. Abgesehen davon zwei Videospiele und unzählige Merchandise-Artikel. Dennoch haben alle diese Werke eine sehr enge Verbundenheit zu ihrem Original und das obwohl – oder vielleicht gerade – weil sie auf den ersten Blick ganz andere Geschichten erzählen.

 


Für diejenigen, die nicht wissen, worum es geht, versuche ich mich mal an einem ganz kurzen Abriss, also…

Im Jahr 2030 sind künstliche Menschen, so genannte Androiden, normale Alltagsgegenstände wie heutzutage Handys und MP3-Player. Auch ist es kein Problem, den eigenen Körper mit künstlichen Gliedmaßen auszustatten, sofern man ausreichend Geld und keine Verlustängste hat, was das eigene „Ich“ betrifft. Globale Vernetzung und permanente Zugänge zum Internet haben eine neue Generation von Verbrechen geschaffen, die Grenzen zwischen Nationen verschwimmen. Motoko Kusanagi, Mitglied einer Anti-Terror-Einheit, die eben solche so genannten Cyberverbrechen bekämpft, erlebt im Laufe ihrer Einsätze, wie all dies die Gesellschaft und vor allem die Menschen verändert und erhält schlussendlich von einer „Wesenheit“ ein ganz besonderes Angebot. Das Ende der Geschichte bildet dann eine sehr gewagte, aber gar nicht mal so fantastische Perspektive auf eine Zukunft, auf die wir vielleicht bald schon selbst hinsteuern.

 

In elf unterschiedlich langen Episoden schildert Shirow die Erlebnisse dieser Anti-Terror-Einheit, meistens aus der Perspektive Motokos. Eine ideale Ausgangsbasis für bombastische Action und komplexe Verschwörungstheorien. Zu den üblichen Zutaten für solche Geschichten kommen dann noch dezente Portionen Soap, ein Schuss Humor, viel bissige Sozialkritik und diverse Überlegungen über den Wert des Menschen.

„He Major… Schon mal was von Menschenrechten gehört? […]“
„[…]Ich verstehe das Konzept, habe es aber niemals verwirklicht gesehen.“

Da es sich um einen Manga handelt, sollte es wenig überraschen, dass Motoko als „Frau“ (es wird nie geklärt ob es wirklich eine Frau ist, oder nur ein Mann in einem weiblichen Kunstkörper) so gut wie gar nicht asiatisch aussieht, sondern dem Idealbild der westlichen Frauen sowie der Vorstellung der Otaku entspricht. Mitsamt passender Mode wie sie damals gängig war. Eine charakterliche Ähnlichkeit zu Sigourney Weavers Rolle aus Alien und der Sarah Connor aus Terminator ist offensichtlich dem damaligen Zeitgeist gewidmet, auch wenn Ghost in the Shell hiermit erst sehr viel später anrückte. Allerdings muss man anmerken, dass die Frauenfiguren bei Masamune Shirow auch schon in seinen früheren Serien oft diesem Typus entsprachen.


Was macht diese Serie nun so besonders und warum sind die vielen Adaptionen bisher alle so gut gelungen? Warum wird diese eine Serie so oft verfilmt, ohne dass uns ein Rohrkrepierer unterkommt, wie man ihn sonst von Comic-Verfilmungen her gewohnt ist?

Der Hauptgrund und das Auffälligste nach dem ersten Lesen ist meiner Meinung nach die enorme Komplexität des Werkes. Man merkt, dass der Autor und Zeichner sich mit den Themen, die er einfließen lässt, schon lange und intensiv beschäftigt hat. Bereits in Appleseed war das Thema der Cyborgs und zukünftiger Gesellschaftsformen dominierend. So wechselt er mühelos immer wieder zwischen den verschiedenen Sichtweisen hin und her und hat auch kein Problem von scheinbar banalen Diskussionen auf die großen Fragen zu lenken. Dabei schafft er es, die Themen neutral von mehreren Seiten zu beleuchten und zu erläutern, so dass dem Leser die Entscheidung überlassen bleibt, welche davon nun die Richtige sein mag.

Dann wäre da seine Detailverliebtheit. Sowohl bei den Zeichnungen als auch bei den inhaltlichen Diskursen bleibt er im Grunde nie oberflächlich. Oft wird es gar schon schwer, den Ausführungen zu folgen, auch wenn er hin und wieder ein paar erklärende Kommentare am Bildrand mit einwirft. Vielleicht ist es aber auch gut, dass man seinen Gedankengängen manchmal nur noch vermutend folgen kann, denn so wird man angeregt, selbst Antworten für aufgeworfene Fragen zu finden. Dauernd alles vorgekaut zu bekommen und dann nur noch der Erklärung zu lauschen, mal ehrlich, das ist ja ganz nett, aber irgendwann wird’s langweilig. Zeit mal wieder selbst seinen Hirnschmalz zu aktivieren.

Eine weitere Eigenart, die dem Werk zu seiner Güte verhilft, ist die regelmäßig wechselnde Erzählperspektive. Zwar wird das Meiste aus Sicht von Motoko Kusanagi geschildert, aber da sie – wie viele andere Mitglieder der Einheit – oft einen schon fast unmenschlich kühlen Charakter zu haben scheint, hilft es, dass mit Togusa wenigstens eine noch recht „menschliche“ Figur vorhanden ist. Togusa ist zudem auch der einzige Protagonist, der nicht nur ein rudimentäres Privatleben führt, sondern Familie, eine Frau und eine Tochter hat. Wenn der Leser also mal wieder schockiert ist über die Kaltherzigkeit und Abgebrühtheit der Einheit, die mit Coolness schon lange nichts mehr zu tun hat, dann wartet meist irgendwo am Bildrand ein armer, kleiner Togusa, der eine Brücke hin zur Normalität schlägt.

 

Damit wären wir auch schon beim nächsten Punkt und das soll dann auch der letzte sein, den ich aufführe. Alle weiteren, und es gibt noch viele, dürft ihr dann selbst suchen, wenn ihr den Manga lest. Und keine Sorge, sie sind leichter zu finden als man denkt, versprochen!

Wie schon gesagt, zeichnet Shirow ein mögliches Bild der Zukunft, keineswegs eine utopische, aber sie ist noch weit vom depressiven Stil von Wiliam Gibsons Neuromancer entfernt. Er überzeichnet seine Figuren nur selten, und wenn, dann meist, um mit kleinen Slapstick-Einlagen den ganzen Ernst hier und da ein wenig aufzulockern. Aber abgesehen davon sind alle seine Figuren durch und durch menschlich, auch und besonders diejenigen, die durch ihre vielen künstlichen Körperteile kaum noch als Menschen empfunden werden. Denn das Handeln der Wirtschaftsbosse, der Politiker, der Kriminellen und aller anderen in der Serie fußt trotz aller High-Tech auf rein menschlichen Empfindungen. Den kalten, perfekten Logikmenschen findet man hier wider Erwarten nirgends.

Zurück zu meiner Frage, warum die Serie so oft und so gut adaptiert wurde? Ich denke, es liegt an der Fülle an Material, die unmöglich in nur einer Produktion zu verarbeiten ist. Jede Adaption hat sich ein paar Elemente herausgepickt, sie neu zusammengesetzt und gleichzeitig ihre Grundidee beibehalten. Dass dies so oft gelang, zeugt wohl von der Inspirationskraft, die dieser Serie innewohnt. Okay… und es liegt auch daran, dass Shirow bei vielen der Adaptionen selbst mitarbeitete. Aber mal ehrlich, das trifft genauso auf viele andere Buch- oder Comicumsetzungen zu, die dennoch lange nicht so gelungen und homogen wirken. Ghost in the Shell funktioniert also offenbar problemlos in mehr als nur einem Medium. Also schnappt euch die drei Sammelbände, und macht einen kleinen Ausflug in die guten alten 90er, um zu sehen, was auf uns zukommen könnte.

  • Text Copyright 2009 Alexander Lachwitz
  • Cover, Artwork Copyright Masamune Shirow / EMA

  • Ghost in the Shell – Band 1 – Der Schrottdschungel
  • Ehapa Comic Collection – Egmont Manga & Anime (2000)
  • ISBN 978-3898851152
  • 22,95€ Bei Amazon bestellen


2 Comments

  1. Lach|witz, der (e) Januar 26, 2014 5:30 pm  Antworten

    […] v on der geplanten Realverfilmung des Anime-Klassikers Ghost In The Shell (zu dessen Manga-Vorlage ich mich ewig auslassen könnte) gehört hat, gibt es nun überraschend Neuigkeiten. Das von Steven Spielberg stark geförderte […]

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