ANDERS

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Da liegt sie endlich, die Comicanthologie ANDERS, bei der der Name Programm sein soll. Acht Webcomiczeichner haben sich zusammengetan und sechs Horrorgeschichten in einen Band gegossen. Veröffentlicht wurde das ganze in der Edition Kwimbi, womit sich der ursprüngliche Webcomicshop mehr und mehr zu einer crossmedialen Plattform für die Webcomicszene entwickelt. Nachdem die Anthologie schon auf der ComicAction ein großer Verkaufserfolg war, wird es Zeit für eine genauere Betrachtung.

Zwischen den bunten Büchern von Webcomiczeichnern wie Marvin Clifford, Zuckerfisch, Tobi Dahmen und anderen wirkt das prägnante schwarz-rote Hochglanzdeckblatt wie eine Daimler-Limousine zwischen lauter Kleinwagen. Der Minimalismus und die einprägsame Coverillustration von Sarah Burrini haben im wahrsten Sinne des Wortes eine Signalwirkung und würden sich auch in einem Regal voller Cross-Cult- oder Panini-Titel gut machen.

Acht Zeichner und sechs Geschichten? Richtig, denn Sarah Burrini war aus Zeitgründen nur für das Cover zuständig und Kaydee steuerte die Rahmenhandlung bei, die die sechs eigentlichen Geschichten verbindet. Leser ihres Webcomics werden ihren Stil zuerst kaum wiedererkennen. Zwar hat sie nur einen Bruchteil an Seiten, verglichen mit den anderen Geschichten, doch diese sind mit so liebevoll und sauber gezeichneten Panels gefüllt, dass sie diesen Umstand definitiv wett macht. Vor allem aber funktioniert das simple Konzept der Rahmenhandlung in dieser Anthologie außerordentlich gut und trägt, zusammen mit der Aufmachung des Buchs, einen wesentlichen Teil zur Homogenität des Gesamtpakets bei, dazu später mehr.

Eine alte, mit grantig und unhöflich noch ausgesprochen nett beschriebene Frau, kommt nach Hause und packt verschiedene Mitbringsel aus. Jedes gehört zu einer der sechs Geschichten, aber warum genau sie diese sammelt, wird erst am Ende verraten. Dabei handelt es sich zwar um keine Neuerfindung des Rades, aber es ist handwerklich solide und vor allem funktioniert es.

Anders_S06_01Bis auf die Ausrichtung auf Horror gab es für die Beteiligten Zeichner keine inhaltlichen Vorgaben, ein jeder konnte sich austoben wie es ihm beliebte. Während man bei Mario Bühling also eine Psychostory in bester Hitchcock-Manier serviert bekommt, stellt sich Marvin Clifford alles andere als zimperlich an und liefert eine vergleichsweise drastische Geschichte ab. TeMeL lotet derweil die Möglichkeiten einer rein rotschwarzen Colorierung aus, was stellenweise zwar schon am Rand der Lesbarkeit kratzt, dafür aber eine beklemmend klaustrophobische Stimmung verursacht, Erinnerungen an Alarmsituationen in U-Boot-Streifen werden wach. Auch Michael Roos wagt sich an einen anderen Stil als seine üblichen Squareheads und tobt sich mit knautschigen Aquarellzeichnungen in einer Geschichte aus, die genauso gut aus einem Kurzgeschichtenband von Stephen King stammen könnte. Sowohl Leander Aurel Taubner als auch Max Vähling zeichnen in ihrem schon bekannten Stil, doch kennt man von ersterem noch keine Langgeschichte und es ist ausgesprochen interessant zu sehen, wie der Mann der feinen Linien mit verschiedenen Panelgrößen, den Panelüberlagerungen und ganzseitigen Bildern voller Chaos arbeitet. Mehr zu den einzelnen Geschichten findet sich möglichst spoilerfrei in den gelben Metakästen.

Die absehbaren Tragischen – Mario Bühling & Max Vähling

Beide erzählen bedingt Geschichten, die in ihrem zeichnerischen wie erzählerischen Stil auch schon in ihren Webcomics zu finden waren. Doch während Marios Ich kämpfe weiter ohne Vorwissen und in einem klar abgesteckten Rahmen funktioniert und die daraus resultierenden Möglichkeiten (ungewisser Ausgang, nur begrenztes Wissen über die Figuren…) elegant ausnutzt, erzählt Max Vähling mit Werbung die man nie vergisst eine Geschichte in traditioneller Ouroboros-Erzählweise, bei der Anfang und Ende fast nahtlos ineinander übergehen können und die darüber hinaus auch deutlich drastischer daherkommt als seine Conny-Erzählungen. Dennoch spielt sich der wahre Horror auch hier hauptsächlich im Inneren der Figur ab.

Zwar sind einige Elemente wie Mario Bühlings Faible für psychologische Liebesdramen, Max Vählings Erfahrung als Erzähler oder Marvin Cliffords routinierter dynamischer Strich den jeweiligen Stammlesern schon bekannt, aber bis auf Max Vähling bewegt sich jeder mit diesem Band in einem neuen Format und einem Genre, dass sonst von ihnen höchstens sporadisch und satirisch aufgegriffen wurde. Bei acht Zeichnern ist dies ein guter Schnitt, denn die Wahrscheinlichkeit ein Genre zu finden, in dem sich noch gar keiner ausprobiert hat, ist bei dieser Zeichnermenge verständlicherweise fast null.

Anders_S014Wie bei Anthologien üblich gefallen jedem die Geschichten jeweils unterschiedlich. Nicht jeder mag jeden Stil oder jede Erzählweise. Und doch besitzt ANDERS eine überraschende Kontinuität. Jede Geschichte lotet einen anderen Bereich aus. Abgesehen vom Slasher-Bereich wird fast alles wenigstens einmal ausprobiert, wobei der Fokus meist auf eher psychischem und weniger physischem Horror liegt. Man könnte meinen, zwischen den Zeichnern sei mehr als nur das Grundthema abgesprochen gewesen, was aber auf Nachfrage strikt verneint wurde.

Tatsächlich klingt die Entstehungsgeschichte so, als würde man von einem ganz anderen Band reden. Ohne in Kleinarbeit erstellte Anthologien schlecht machen zu wollen, doch ANDERS bewegt sich weder vom äußeren, noch vom erzählerischen oder handwerklichen auf amateurhaftem Niveau, auch wenn er durchaus experimentell ist.

Chaos, Wahnsinn und Blut – Leander Aurel Taubner & Marvin Clifford

Mit Tragischer Flugzeugabsturz bewegt sich Leander in der Tradition willkürlich erscheinenden Horrors, dessen System für den Zuschauer nicht oder kaum erkennbar ist. Eine Achterbahnfahrt der Panik voll von eigentlich unmöglichen Ereignissen, als würde der Joker den nächsten Final Destination-Schinken drehen (was der Reihe meiner Meinung nach nur gut tun würde!).

Das Massaker von Old Town von Marvin Clifford kommt dem gegenüber deutlich systematischer daher und lädt den Zuschauer ein den Pfad des Wahnsinns zu betreten. Gemein hat es mit Leanders Geschichte die Lust an schockierender Überraschung und drastischer, aber nicht selbstzweckhafter Gewalt. Für das, was Marvin hier mit einem simplen Teppichmesser und der Elastizität menschlicher Haut anstellt möchte man ihn am liebsten einfach nur ein kleines bisschen würgen. So ein kleines bisschen…

Anders_S36Während Mario Bühling hier endlich einmal am Stück das erzählen kann, was er in seinem Webcomic nur sporadisch und in kleinen Häppchen transportieren kann, betreten viele der anderen Zeichner gänzliches Neuland und dies macht sich hier und da sowohl im Strich als auch in der Erzählung bemerkbar. Der Spaß und das Engagement sind auf vielen Seiten sehr gut spürbar und verbinden diese Geschichten; es wäre anders, wenn es nur Comics zu einem Thema wären, das die Autoren schon öfters behandelt haben. Die kurzen Autorenvorstellungen mit einem kurzen Statement zum Thema Horrorgeschichten runden das Leseerlebnis ab. Es ist erstaunlich wie gut dieser Band am Ende funktioniert, ist er doch nach einer langen Vorlaufzeit am Ende mit spürbaren Zeitdruck noch in den letzten Wochen fertiggestellt worden. So unangenehm das auch für die Zeichner gewesen sein mag, nur zu oft hat man gemerkt, dass es für kreative Schaffungsprozesse besser ist unter Druck zu arbeiten, anstatt genug Zeit zu haben um sich jedes Detail mehrmals zu überlegen. So stressig dies für die Zeichner gewesen sein muss, der Leser kann davon durchaus profitieren.

Der getriebene und die klaustrophobische – Michael Roos & TeMeL

Nicht nur farblich bilden diese beiden Geschichten die düstersten Beiträge der Anthologie. In Familienvater spurlos verschwunden treibt Michael Roos seine Figur in dem aussichtslosen Versuch vor sich her, alles richtig zu machen, nur um dann um so größer zu scheitern. Man möchte ihm fast beistehen, damit er sich aus diesen Seiten befreien kann, aber das wäre ja gegen die Regeln.

TeMeL hat sich für ihre Rätselhafte Explosion in der Kalahariwüste den eigenen Wunsch erfüllt mal etwas mehr Richtung Sci-Fi zu gehen und hetzt ihre Figur durch ein klaustrophobisches Fluchtszenario, das an die guten Sci-Fi-Horrorklassiker erinnert. Wie schon bei Michael merkt man auch hier den ganz anderen Stil, den sie nutzt. Anders als in ihrem Webcomic oder ihrem Erstling Wohlstand gibt es hier eine ganz andere Figurenzeichnung und Dynamik. Das Tempo und die Panik sind spürbar und hetzen auch den Leser, während Wohlstand eher eine beklemmende und weniger treibende Panik beim Leser auslöste.

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ANDERS ist auf der einen Seite eine klassische Anthologie in sehr konventioneller Konzeptionierung, lebt aber vor allem davon, dass die Zeichner ihr gewohntes Metier verlassen und etwas Neues probieren. Dementsprechend sind die Geschichten längst nicht in allen Belangen perfekt oder meisterlich, aber darauf kommt es gar nicht so sehr an. Viel mehr lebt sie vom Mut zum Experiment und das auf dem hohen technischen Niveau, das man von diesen versierten Zeichnern erwarten darf. Eine Mischung aus versierter Erzählkunst und dem Traum sich selbst eine Lieblingshorrorstory zeichnen zu können.

  • Text Copyright 2013 , Alexander Lachwitz
  • Cover, Screenshots: Burrini, Bühling, Clifford, KayDee, Roos, Taubner, TeMeL & Vähling.


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