Odin Band 1

 

Beim Gang durch die Regale mit den Neuerscheinungen kommt man nicht umhin, eine gestiegene Präsenz der alten Götter zu bemerken. Nicht nur Marvel’s Thor ist durch den erfolgreichen Avengers-Film wieder sehr präsent. Auch Reihen wie Thorgal, von Splitter liebevoll neu aufgelegt, und andere Helden aus den Reichen der Wikinger erfreuen sich erneuter Beliebtheit. Der erste Band einer neuen Reihe sticht unter all diesen dennoch hervor: Odin, von dem französischen Duo Jarry & Seure-Le Bihan.

Odin, der Göttervater also. Band 1 steht auf dem Cover und verleitet zusammen mit den an Tolkiens Epos gemahnenden Ringdarstellung an schlichtes Marketing-Kalkül. Gewiss, mit dem Thema lässt sich Kasse machen und sicher nicht zu schlecht.
Aber wie schon Tolkien wußte: Die Edda, die alte Lieder- und Sagensammlung der Nordmänner, beinhaltet eine große Zahl an Geschichten, banale, tragische, epische… die gesamte Bandbreite. Warum also nicht aus diesem Fundus schöpfen?

Und genau das hat man hier getan und sich gleich den Göttervater selbst als Protagonist gewählt. Es ist ein müder alter Mann der da steht, fast schon klein neben seinem gewaltigen Ross Sleipnir. Angesichts der letzten großen Schlacht, Ragnarök, beginnt er rückblickend zu erzählen. Seine Schilderung lässt den Leser teilhaben an seiner Suche nach seinen Fehlern, die ihn zu diesem Ende geführt haben.

Man sollte erwähnen, dass die Edda zwar viele Geschichten beinhaltet, doch ist sie keineswegs chronologisch oder aufeinander aufbauend gestaltet. Anders als bei der Bibel ist daher eine geschlossene Geschichte über die Götter nur schwer möglich.
Nicolas Jarry für seine Interpretation Mängel zu unterstellen ist daher müßig. Sein Bild von Odin, seiner Brut, den Alben, Wanen und Menschen ist nur eine von vielen Sichtweisen, und dabei eine sehr mythenbehaftete. Er bleibt stets im erzählerischen Graubereich, ohne sich in zu viele Details zu verlieren. Der Fokus liegt auf den zahlreichen Götterfiguren und ihren Zeitgenossen und vor allem auf ihren all zu menschlichen Schwächen. Aus Liebe wird Eifersucht, gebiert Rache und treibt immer mehr die Verzweiflung voran.
Loki baut er zwar zum Antagonisten auf, lässt ihm aber genug Raum und Ruhe um sein Dilemma zu zeigen, welches nicht minder groß ist als das Odins. Der Göttervater ist am Ende nur ein machtloser Spielball größerer Mächte und doch kämpft er immer wieder dagegen an, in der Hoffnung seine Fehler korrigieren zu können.

Erwan Seure-Le Bihan fängt diese Geschichte in kräftigen Bildern voll epochaler Wucht ein. Egal ob es um die Schöpfung der Welt oder den Weg zum Krieg geht: Das Gefühl der Ehrfurcht vor diesen Wesen ist nicht bestreitbar. Fast wird es schon zu viel, die Räume zur Erholung werden eng, was aber auch der dichten Erzählung geschuldet ist. Das Duo verliert sich nicht in Nebenschauplätzen, verlangt dem Leser dadurch aber auch eine gewisse Ausdauer ab. Viele Panels können in der Tradition großer Erzählungen für sich alleine stehen, illustrieren eine ganze Epoche an Geschehen, welche nur durch wenige Worte geschildert werden. Das ist zwar beeindruckend, aber lädt kaum zum Spiel mit den Panels ein. Die Dynamik besitzt eine Trägheit, die zum epochalen Inhalt passt, aber nicht jedermanns Geschmack sein muss.
Neben den Kapiteln, die oft zwischen eiskaltem Blau und bedrohlichem Feuerrot changieren, sind die immer wieder eingefügten Doppelseiten ein optischer Höhepunkt. Gestaltet in altertümlicher Buchmalerei und vermengt mit Darstellungsweisen verschiedener Kulturen, wird hier das erzählte nochmals zusammengefasst und in Form eines Gesamtbildes dargebracht.

Fazit

Der erste Band von Odin hinterlässt gemischte Gefühle. Eindeutig ist es ein wunderbar zu betrachtender Band, mit gefälligen Illustrationen und gut lesbarer Geschichte, die alle wichtigen Zutaten für eine gute Dramatik hat. Nur in Kleinigkeiten leistet sich der Band Mängel und es fehlt noch das letzte Quentchen für einen richtig großen Wurf. Die sich zuspitzende Dramatik hätte durchaus mehr Spielereien mit den Panels erlaubt und vereinzelt schien man sich auch nicht über die Stilrichtung sicher zu sein. Ein wenig mehr Rafinesse täte dem zweiten Band, der für den  9. November angekündigt ist, zweifellos gut. Dennoch ist der vorliegende Band eine sehr solide Arbeit, die, von Kleinigkeiten abgesehen, wunderbar für sich stehen kann und dem thematisch interessierten Leser einige wunderbare Stunden bereiten wird.

 

  • Text Copyright 2012 Alexander Lachwitz
  • Cover, Artwork Copyright Ehapa


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