Lassen wir die Angst hinter uns

Eigentlich war für diese Stelle ein anderer Text geplant, einer der sich mit dem Start ins neue Jahr befasst, vielen guten und ein paar weniger guten Neuigkeiten. Aber manchmal geschehen Dinge, mit denen man einfach nicht rechnen kann. Letzte Woche erschütterte der Anschlag in Paris sowie die Folgetaten so ziemlich die ganze Welt, auch wenn zeitgleich anderswo bedeutend mehr Menschen ihren Tod fanden. Wieder einmal hatte sich der Terror seiner medialen Macht bedient. Aber über diesen traurigen Aspekt möchte ich dieses mal nicht reden, auch wenn er viel öfter beachtet werden sollte.

Genau wie Max Vähling bin ich froh, dass rasch von einem Anschlag auf die Meinungsfreiheit die Rede war, gleichwohl auch dieser Anschlag wahrscheinlich sehr schnell instrumentalisiert werden wird. Diesen Text hier schreibe ich sowohl aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus, aber auch um selbst herauszufinden, was diese Tat in mir auslöst. Denn während schon über die Medien und die sozialen Kanäle erste Reaktionen und eine breite Solidaritätsbekundung zu lesen waren, versuchte ich noch immer zu begreifen.

Das stärkste Gefühl war und ist immer noch definitiv Angst. Ich meine damit nicht die Angst vor einem weiteren Anschlag.
Nein, ich habe Angst vor dem, was dieser Anschlag aus uns macht, als Gesellschaft. Wie viel weiteres Misstrauen wird geschürt? Für welche fragwürdigen politischen und militärischen Aktionen wird dieser Anschlag als Begründung herangezogen? Welche Geldsummen werden umgesetzt, nur mit der zusätzlichen Angst, die jetzt herrscht und weiter geschürt wird (und damit meine ich nicht primär die Medien, auch wenn das Thema Angst inzwischen ein besserer Verkaufsschlager als Sex ist)?

Es fällt immer leicht zu sagen, dass wir in einer schlimmen Zeit leben. Ich selbst habe die Ära des Kalten Krieges bewußt nicht mehr miterlebt und musste mir im Nachhinein mühsam ein Bild dieser Ära verschaffen. Ich bin aufgewachsen und geprägt von 16 Jahren ewigem Kanzler Kohl, dem Mauerfall (genaugenommen mit seinen Folgen), dem 11. September und immer mehr bewaffneten Konflikten im Nahen Osten. Und dennoch hatte ich seit dem 11. September kein so bedrückendes Gefühl mehr wie jetzt. Genaugenommen ist es sogar schlimmer, denn dank dem 11. September wissen wir, was so ein Anschlag für Folgen hat; für unsere Gesellschaft, unser Weltbild und fast alle anderen Lebensbereiche. Zumindest ich habe ein sehr ungutes Gefühl, dass dieser Prozess jetzt endgültig zu einer fatalen Spirale aus immer mehr Misstrauen und entsprechenden Reaktionen wird. Seit dem 11. September haben wir vieles akzeptiert das vorher nicht mal einer Diskussion würdig war: Eine immer breitere Überwachung der Zivilbevölkerung, Präventivschläge, ein neues, auch digitales, Wettrüsten, die Einführung digitaler Zensurmethoden, eingeschränkte Rede- und Meinungsfreiheit besonders in westlichen Staaten (verglichen mit dem was man vorher aus den Staaten kannte bei denen man Medienzensur erwartet), die Verfolgung von Whistleblowern als Staatsverräter und so weiter.

Die Situation in der Ukraine, zwischen Ost und West, Irak, Syrien, Ebola; es sind tatsächlich deutlich mehr große Gefahrenherde auf der Welt vorhanden als in den Jahren zuvor, zumindest ist dies mein gefühlter Eindruck. Und der macht mir Angst, ganz abgesehen von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen, mit denen wir seit Jahren kämpfen. Von den derzeit 32 stattfindenden als geringfügig eingestuften bewaffneten Konflikten weltweit wollen wir gar nicht erst anfangen.

Ich bin nicht in der Lage Hass auf die Attentäter zu empfinden. Auch nicht auf andere bewaffnete Gruppen oder politische Bewegungen, die nun vom Anschlag profitieren könnten.
Stattdessen wächst meine Sorge, zu was uns die neu geschürte Angst verleiten wird.

Diese Männer, die in Paris wehrlose Menschen töteten, sie sind sicherlich keine typischen Islamanhänger, genauso wenig wie deutsche, französische oder amerikanische Soldaten, die in Afghanisten oder im Irak aus Panik, Unverantwortlichkeit oder sonstigen Umständen heraus Gräueltaten verüben typische Christen sind. Es sind Menschen, nicht mehr und nicht weniger. Der einzige Unterschied liegt in ihrer Bereitschaft zu töten und ggf. zu sterben, sowie einer gewisse Kenntnis im Umgang mit Waffen.

Aber schon jetzt gehen leider die Diskussionen los, ob der Islam eine gewalttätige Religion ist (nein) und ob man sich gegen ihn schützen muss (nein). Eine Differenzierung, geschweige denn eine Berichterstattung über die Reaktionen der islamischen weltlichen wie geistigen Führer findet so gut wie gar nicht statt. Die Welt schaut nach Paris und gleichzeitig nutzen noch Regierungsvertreter mit fragwürdigem Medienruf das ganze als Werbeplattform, wie Michael Barck hier sehr schön erläutert. Nur eine von vielen Arten, auf die diese furchtbare Tat ausgenutzt wird. Die Anschläge waren schrecklich, wie jeder Anschlag. Er war feige und hinterhältig und unsere Trauer und Beileid sollte bei den Freunden und Familien der Opfer sein. Aber wir dürfen uns nicht in Angst und Panik ergeben.

Wovor müssen wir Angst haben? Müssen wir Angst haben wenn wir uns mit einer Meinung äußern? Müssen wir Angst haben womit wir bestimmte Überzeugungen oder Glaubensrichtungen beleidigen könnten? Muss man als Kommentator, Illustrator, Satiriker oder auch schlichtweg als Berichterstatter Angst davor haben, wie die eigene Nachricht bei Intolleranten Menschen aufgenommen wird? Wie vielerorts berichtet wird: Die Meinungsfreiheit darf sich nicht vor dieser Angst beugen.

Aber nicht minder wichtig ist, dass wir selbst uns nicht vor der Angst vor dem Terror beugen. Rauchen, Straßenverkehr, Alkohol und viele andere Banalitäten haben immer noch ein tausendfach höheres Bedrohungspotenzial als jeder Attentäter. Selbst die Anschläge vom 11. September haben die Sterblichkeitsrate der USA, von der Welt ganz zu schweigen, nicht sonderlich beeinflusst. Damit möchte ich nicht die Opfer verspotten, im Gegenteil. Ihrer soll man Gedenken, aber man soll kein Opfer eines Terroranschlags oder Mordes posthum missbrauchen um die eigene Bevölkerung ihrer Freiheitsrechte zu berauben, andere Staaten mit Krieg zu drohen oder gar zu überziehen. Angst ist zu lange ein Mittel der Politik und Medien, dazu muss man nur einen Blick in die einschlägige Tagespresse oder Nachrichten werfen, besonders bei den Privatsendern und Zeitungen mit großen Buchstaben (da gibts mehr als eine…).

Ich denke niemand von uns möchte eine Verschärfung der Konflikte, egal ob in der Ukraine, in Afrika, bei uns oder in Paris auf der Straße. Auch davor kann man Angst haben. Aber anstatt Schilder zu malen und lautstark Parolen zu rufen, ist es an der Zeit zu reden. Treten wir zurück statt zum Protestmarsch an. Fangen wir an zuzuhören, nicht bloß ausgewählten Rädelsführern, sondern auch den anderen. Jenen, vor denen man Angst hat, jenen, denen man nicht traut und vor allem jenen, die man hasst. Es ist höchste Zeit, dass wir unsere Mitmenschen besser kennenlernen. Denn unsere Mitmenschen leben nicht bloß nebenan in der Peterstraße oder Markstraße. Sie leben überall und könnten morgen bei uns sein oder wir bei ihnen, denn das bedeutet eine globalisierte Welt. Das bedeutet nicht, dass Kulturen untergehen, im Gegenteil, nur durch Beteiligung und Mischung kann sich Kultur überhaupt erst zu erkennen geben, wird zu etwas Greifbarem und bleibt nicht bloß eine hohle Parole. Und auch wenn Religion ein weites und oft nicht unkompliziertes Thema ist, soweit sind sich die Sozio- und Theologen einig: Der Hauptzweck jeder Religion besteht doch darin, ein Modell zu erschaffen mit dem die Menschen miteinander in einer geordneten Gesellschaft leben können.

Mein verspäteter Wunsch für 2015: Fangen wir an miteinander zu reden und uns gegenseitig zuzuhören, denn dazu braucht man keine Waffen.

Je suis Charlie – Keine Angst vor Menschen.


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