Perlen vor die Säue – Mord mit Aussicht

ARDMordmitAussichtverabschiedetsichstark-News-4089 Heute Abend startet endlich die vierte Staffel der Eifel-Krimireihe Mord mit Aussicht. Grund genug zurückzublicken wie diese Serie schon 2008 bis 2010 begeisterte und warum sich in der deutschen Fernsehlandschaft leider dennoch immer noch nichts gebessert hat. Aber warum diese Häme gegenüber dem deutschen Fernsehen? Selbst der unvergleichliche Erfolg von Stromberg geht zurück auf eine zuerst sehr strittige Kopie des britischen Klassikers The Office. Eigene Ideen sucht man mit der Lupe. Sobald ein Konzept auch nur mit Mühe die Mindestquote erfüllt, wird es für gut befunden und ohne jede Liebe nur noch unter diversen Namen immer wieder neu kopiert. Mord mit Aussicht gehört zu den ganz wenigen Ausnahmen und hat das Potenzial hierzulande eine ganz neue Fernseh-Generation anzustoßen.

Hinweis:
Der Text wurde 2010 bei G wie Gorilla veröffentlicht. Aufgrund der neuen Staffel wurde er aber komplett überarbeitet und an vielen Stellen ergänzt. Daher entfällt dieses mal das Präfix Klassiker.

Ich geb’s ja gerne zu; der Krimi war und ist bis heute eines der Vorzeigefelder im deutschen TV, aber sonderlich innovativ ist man dabei auch nicht (mehr). Nach der X-ten Variante von Derrick, Großstadtrevier und dem Tölzer Bullen macht sich langsam ein Sättigungsgefühl breit. Der hier und da eingesetzte Witz ist zum Standard-Repertoire verkommen, genau wie die üblichen Mord-Klischees und ihre Hintergründe. Eine seltene Ausnahme war da noch Adelheid und ihre Mörder, was neben den guten Drehbüchern aber auch an der fantastischen Evelyn Hamann und ihrem spröden Charme lag. Gelungen wurden deutsch-mürrisches Bürokratentum mit dem Tatendrang einer nimmermüden Miss Marple kombiniert. Daraus entstand keine Kultserie, aber eine geschätzte und respektierte Serie, die um ihre Nische nicht zu kämpfen brauchte. Mord mit Aussicht knöpft lose an dieser Tradition an, setzt aber mehr als genug eigene Akzente um sich zu behaupten. So wird das bekannte Rezept durch Anleihen an Inspector Barnaby und diverse Seitenhiebe auf die Tatort-Kollegen bereichert. Dabei bleibt das Ergebnis allgemein bekömmlich und ist längst nicht so überspitzt wie der Tatortreiniger, ebenfalls eine Perle für sich.

Zuerst ein kurzer Rückblick für alle denen die Serie bisher nicht bekannt ist; trotz ihres Erfolgs haben die ARD-Oberen nämlich lange viel Mühe investiert um die Serie ja nicht bekannt werden zu lassen. Vermutlich ein genetischer Defekt, der auch auf Kollegen beim NDR abgefärbt hat, aber das ist eine andere Fallakte.

Frisch versetzt von Köln nach Hengasch in der tiefsten Eifeler Provinz könnte der Kulturschock für Kriminalkommisarin Sophie Haas kaum größer sein. Das Einleben in der neuen Dienststelle wäre mit schwierig noch charmant beschrieben. Während das Dorf mit seiner Klatschmentalität die neue Chefbullin erstmal genau unter die Lupe nimmt, will diese eigentlich gleich wieder zurück und greift ersatzweise dann doch lieber zu mehreren Gläsern Wein. Dazu kommen die lieben Kollegen, welche bisher meist nur mit toten Gänsen und umgeschubsten Kühen zu tun hatten. Keine Frage, dass sich daher 15 Jahre Dorfgeschichte in einer dünnen Akte wiedergeben lassen, während die ungelösten Mordfälle tatsächlich erfasst sind, aber bisher nur als Staubfänger dienten. Die personifizierte Verkörperung der gesamten Dorfmentalität stellt dabei Dietmar Schäffer dar (mit Einsatz zum Übergewicht: Bjarne Mädel, seit Stromberg und erst recht dem Tatortreiniger eines der besten Talente hierzulande). Was der Bauer nicht kennt frisst er nicht, getreu diesem Motto bekommt „Dietmar-Bärchen“ von seiner Frau „Muschi“ noch jeden Tag eine mit Liebe gekochte Mahlzeit auf die Wache.

Mit ihren forschen Großsstadtmethoden sorgt sie natürlich für viel Wirbel und ungläubiges Kopfschütteln bei den Kollegen. Lange Zeit wohnt sie zudem mit ihrem selbstmitleidigen Vater zusammen, was für viele geleerte Weinflaschen sorgt. Auch die Männerwahl auf dem Land ist alles andere als einfach, so dass sich bisher trotz dreier Staffeln noch kein fester Partner etabliert hat. Aber eigentlich will Sophie Haas ja auch gar nicht auf dem Land bleiben…

Mord mit Aussicht Folge 11 (WH)

Caroline Peters hat für ihre Rolle als Kölner Schnauze die richtige Mischung aus Trampeltier, Sprödigkeit und Melancholie, so dass sie die Serie theoretisch auch ganz alleine stemmen könnte. Doch stehen ihr mit Meike Droste und Bjarne Mädel zwei gekonnte Partner als Polizeikollegen zur Seite. Zuletzt ergänzt Hans Peter Hallwachs als Sophies Vater das Ensemble gekonnt und liefert im Duett mit ihr beste Screwball-Referenzen ab.

Ohne gutes Drehbuch können aber auch die besten Schauspieler wenig bewegen, und bis auf einige wenige Schwächen wurde auch hier fast alles richtig gemacht. Der Zuschauer wird mitgenommen in ein erschreckend banales Dorfleben und oft viel erschreckenderen rückständigen Ansichten. Doch anstatt sich nur über dieses Arrangement zu amüsieren, wird nach und nach ein Blick dahinter geworfen. Das Leben der meisten Menschen dreht sich eben nicht um weltpolitische Zusammenhänge, oder gar political correctness. Es gilt was am Ende des Tages auf den Teller kommt und wie man möglichst seinen Frieden hat. Mit vorsichtiger Hand lernt auch die Hauptfigur trotz aller Abwehrreaktionen nach und nach, dass sie auf ihre Art ebenso spießig und verbohrt ist. Die Ähnlichkeiten zwischen Stadt und Land sind nur auf den ersten Blick gewaltig, schrumpfen aber schnell auf ähnliche Mentalitäten zusammen, die nur unterschiedliche Ausprägungen angenommen haben. Damit wird die Serie nicht nur zu einem Spiegel der Gesellschaft, sondern auch zu einem Sittenbild in überspitzter Form.

Trotz des Ausstiegs der Ideengeberin und Drehbuchautorin in der ersten Staffel, Marie Reiners, hat die Serie ein kurzes Tief in der zweiten Staffel gut überwunden und mit der dritten Staffel alle Anhänger belohnt. Dazu muss man wissen, dass die ARD nach der ersten Staffel das Budget für Außenaufnahmen so stark gekürzt hat, dass die Hauptfigur aus der Dorfromantik in einen nichtssagenden Plattenbau ziehen musste und das Dorgeschehen nur noch mit alten Archiv-Aufnahmen und Innenaufnahmen simuliert wurde. Das man ohne Außenaufnahmen im Dorf aber kaum Dorfromantik erzeugen kann, geschweige denn eine gute Atmosphäre ist kein Geheimnis. Daher hat Marie Reimers nach der ersten Staffel auch gekündigt. Diese erste Staffel hatte bei den ARD-Bossen allerdings sowieso für Magenschmerzen gesorgt. Eine Frau in der Hauptrolle, die säuft, raucht und mit ihrem Vater zusammenlebt; so ein Realitätsbild ist wohl selbst in einer Komödie für gewisse Altherrenvereine nicht mehr tragbar.

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Nach der dritten Staffel, großen Erfolgen bei der Quote, Lob aus allen Reihen und einem für die Fans spannenden kleinen Cliffhanger, gab es dann auch endlich einen Lobesbrief der ARD an die Darsteller. Zumindest an Bjarne Mädel. Dumm nur, dass direkt nach dem Lob im selben Brief angekündigt wurde die Drehzeiten erneut zu kürzen, was für eine Serie deren Charme durch Zeit beim Dreh und die Möglichkeit zur Improvisation sowie Spontanität entsteht alles andere als ideal ist. Bjarne Mädel hat sich, auch nach dem Erhalt mehrer Grimme-Preise für den Tatortreiniger offen darüber enttäuscht gezeigt und seinen Abschied nach der aktuellen Staffel angekündigt. Denn auch beim Tatortreiniger haben er und der Regisseur nicht wenige Kämpfe ausfechten müssen, bis man ihnen das, nicht mal große, Budget sowie Drehzeit einräumte. Verständlich, dass man irgendwann die Konsequenzen zieht.
Sollte also beim ARD (und hoffentlich auch beim NDR) nicht rasch ein Umdenken enstehen, wird es Mord mit Aussicht in dieser Form nicht mehr geben. Zwar ist Bjarne Mädel eine wichtige Nebenfigur, doch eben nicht die Hauptrolle. Mit einem guten Drehbuch könnte man ihn durch eine andere Figur ersetzen, aber die Frage ist, ob das wirklich nötig ist?

Seit dem Erfolg von Mord mit Aussicht wird der Zuschauer mit neuen Comedy-Krimis a la Heiter bis tödlich bis zum Abwinken bedient. Der Versuch den bewußt prägnanten aber nicht übertriebenen Eifeler Lokalkolorit auf andere Bundesregionen zu übertragen, ist fast überall gescheitert und am Ende kam nur Einheitsware dabei heraus. Man fühlt sich zu Recht an Großstadtrevier und die diversen Abklatsche davon erinnert, wobei Großstadtrevier selbst auch nicht sonderlich originell ist, zumindest nicht in der gefühlten vierzigsten Staffel.

Bleibt Deutschland also auf ewig ein Entwicklungsland für gute Serienkultur? Immer wieder gibt es einzelne Perlen, wie den schon erwähnten Tatortreiniger oder auch die bauernschlauen Burschen aus Neues aus Büttenwarder. Aber dies alles sind Nischenprodukte, die lange um ihre Existenz kämpfen müssen, selbst wenn gute oder bekannte Schauspieler mitwirken. Warum wird experimentellen Formaten selbst nach guten ersten Folgen immer noch die Existenzfrage gestellt, während das laufende Programm nur noch ein bunter Etikettenwechsel ist?

Vielleicht sind die Unkenrufe nach der Abschaffung einer Rundfunkgebühr doch nicht so unnütz. Irgendwas muss passieren, wenn solche Produktionen nicht weiterhin mit der Lupe gesucht werden sollen. Immerhin gibt es eine Gnadenfrist in Form der vierten Staffel, die von der ARD seltsamerweise als dritte Staffel gezählt wird. Vielleicht schämt man sich auch für die Schmach mit der zweiten Staffel, deren Mängel fast allesamt aufs gekürzte Budget zurückzuführen sind. Freuen wir uns also, vielleicht ein letztes mal, über eine Perle der deutschen TV-Landschaft, die leider nicht von den Verantwortlichen auch nur ansatzweise ausreichend gewürdigt wird.

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Mord mit Aussicht – Dienstags um 20.15 im Ersten

 

Text Copyright 2010 , Alexander Lachwitz
Cover, Screenshots: ARD/Pro GmbH

Am: 10.01.2010
Bei G wie Gorilla

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